Tetris was my first love.

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Meine persönliche Digitalisierung beginnt 1986. Mit dem Klackern und Pfeifen eines Modems. Ich bin 12 Jahre alt und starre im Büro meines Vaters gebannt auf einen kleinen Bildschirm. Wir prüfen Bahnverbindungen per BTX.

Drei Jahre später, 1989, steht mein erster eigener Computer im Jungmädchenzimmer und Tetris brennt sich in den schwarz-gelben Bildschirm wie in meine Netzhaut.

Der Nordatlantik als Data Lake

1994 schreibe ich das Drehbuch für eines der ersten Edutainment-Games auf CD-Interactive und verkaufe es für 10.000 DM an ein deutsches Medienunternehmen. 1997 kompiliere ich zum ersten Mal Linux. Kurz darauf – im Frühjahr 1998 – sammle ich entlang des 48° Breitengrads Nord, das, was wir heute Big Data nennen.

Zeitgleich entwickele ich eines der ersten interaktiven Datenportale für eine Bundesbehörde. Kurz danach 2000 rechne ich meine Diplomarbeit auf einer Cray 916, einem der damals leistungsstärksten Computer der Welt. Heute kann mein Telefon mehr.

Mein DIY Content Management System

2001 scripte ich mir nach Feierabend ein Content Management System zusammen und lasse mich am nächsten Morgen von den Jungs in der IT-Abteilung eines Großkonzerns ungläubig anstarren, weil sie nicht gedacht hätten, dass die Frau aus dem Marketing auch programmieren kann.

2004 werde ich zertifizierte E-Trainerin und studiere auf einen MBA hin in England. Oder besser gesagt: online. Meine Kommiliton:innen sitzen in Amsterdam, München, Wien, Bangkok und Dushanbe. Wir lernen und feiern auf Skype. Irgendwo in den Unterlagen taucht die Firma Semco auf. Und setzt sich fest in meinem Hinterkopf.

Im ersten echten Online-Wahlkampf 2005 betreue ich eine Partei-Webseite und kriege eine vage Idee von dem, was in der Zukunft Shitstorm heißen wird, weil jemand vermeintliche Interna aus der Wikipedia streichen will. Twitter steht da noch als Joghurt im Regal.

2006 werde ich Projektberaterin und helfe sehr großen Unternehmen bei sehr großen (meistens) IT-Projekten schlau vorzugehen. Dabei arbeite ich in Teams mit 10, 15, 20 Nationen, die überall auf der Welt verteilt arbeiten und organisiere Wissen in Kacheln. „Please enter your six digit code followed by the pound or hash sign.“, verfolgt mich bis in die Träume, während mein Blackberry Pearl rund um die Uhr rot blinkt. Die Digitalisierung nimmt Fahrt auf.

Ein U-Boot im agilen Teich

Als ich 2010 mein erstes Großprojekt als Senior Consultant voll verantwortlich leite, nennt mich der Auftraggeber die Emma Peel des Change Management und ich starte ein agiles U-Boot in seinem Teich. Es taucht nirgends auf, sorgt aber für ein sehr erfolgreiches Projekt. Und meine kurze Geschichte der Digitalisierung nimmt eine berufliche Wendung.

2012 kaufe ich mir eine Kinect und gründe smidig (damals noch als Learnical), weil mein damaliger Arbeitgeber (noch) nicht (so) agil arbeiten will (wie ich). Ich aber schon. Außerdem reizt es mich, mit digitalen Werkzeugen für Beratung und Wissensvermittlung zu experimentieren. Ich leiste mir ein Jahr Entwicklungsarbeit von meinem Ersparten. Ich forsche, sammle, befrage Expert:innen aus aller Welt. Experimentiere ausführlich mit Prezi und kaufe sehr viel Lego.

Heraus kommt eine agile Unternehmensberatung. Wir begleiten Digitalisierungsvorhaben in Wirtschaft und Verwaltung, und verwandeln immer wieder eingefahrene Strukturen in ein motivierendes Arbeitsumfeld. Und auch im eigenen Team sorgen wir für „Arbeit, die wir wirklich, wirklich wollen“. Dabei probieren wir alles aus, was die digitale Werkzeugkiste so hergibt. Und haben eine Menge Spaß.

Das Internet der Dinge wohnt in meiner Hosentasche

2016 schreibe ich einen Blogartikel über meinen neuen Fitnesstracker: Das Internet der Dinge wohnt in meiner Hosentasche und treffe damit einen Nerv bei meiner Kundschaft. Sabine Hockling interviewt mich für Zeit Online unter der Überschrift „Ausgelernt gibt es nicht“ und ich spreche mit ihr über Lernen als strategischer Kompetenz im digitalen Wandel.

Und plötzlich wird die Digitalisierung ernst.

2020 liege ich in einem Positronen-Emmissions-Tomographen/Computer-Tomographen. Er sucht nach Anzeichen einer schweren Krankheit in meinem Körper. Während er misst, sammelt die Physikerin in mir alles zusammen, was sie über dieses Gerät wissen könnte und ist voller Demut über das, was um sie herum passiert. In diesen Minuten danke ich jedem Menschen (und Gott!), der direkt oder indirekt zu dieser Technologie beigetragen hat. Ich stelle mir jeden einzelnen Arbeitsplatz vor. Auf der ganzen Welt. Jede Beobachtung. Jedes Experiment und jeden Datensatz. Jedes Material. Jede Schraube und jede Platine. Ich sehe die Zahlenkolonnen, die jetzt gerade erzeugt werden, vor meinem inneren Auge und die Algorithmen vor mir, die sie auswerfen und zu Bildern über meinen Körper zusammensetzen. Ich horche auf die Geräusche und nehme – selbst regungslos – jede Bewegung des Apparats um mich herum wahr als Meisterleistung der Ingenieurskunst. Und des medizinischen Sachverstands. Die Daten sind auf meiner Seite. Die Krankheit hat nicht gestreut. Meine Chancen stehen gut.

Ein Jahr später kehre ich zurück in eine Arbeitswelt, die über Nacht digital geworden ist. Das Haus meines Vaters ist mein Haus, mein Home Office in seinem alten Kontor. BTX gibt es nicht mehr. Es war nur ein Anfang von vielen.