Spielen bei der Arbeit – ein Tabu?

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Ist Spielen bei der Arbeit ein Tabu? Wir sagen „Spielen Sie hier nicht rum!“, wenn wir meinen, dass jemand seine Aufgaben nicht ernst nimmt. „Wir sind doch hier nicht im Kindergarten“, wenn das Chaos überhand zu nehmen scheint. Oder „als ob ich den ganzen Tag Zeit zum Spielen hätte!“, wenn andere unsere vermeintlich kostbare Arbeitszeit zu verschwenden scheinen (McGonigal, 2012; Plettenberg et. al., 2007).

Spielen ist ein biologischer Prozess

Diese Metaphern zeigen, dass uns das gleichzeitige Spielen und Arbeiten verdächtig, unproduktiv, möglicherweise sogar sündhaft erscheint. Spielen bei der Arbeit hört sich da fast schon nach Tabu an. Dabei ist Spielen der biologische Prozess, der uns zu dem hoch entwickelten, hoch intelligenten und hoch sozialen Säugetier macht, das wir nun einmal sind. Untersuchungen zeigen: Je größer der sogenannte Enzephalisationsquotient ist, also das Gewicht des Gehirns eines Tieres im Verhältnis zum Körpergewicht, desto verspielter ist das Tier auch in seinem Verhalten, desto länger spielt es auf dem Weg zum ausgewachsenen Tier, desto anpassungsfähiger ist es (Lieberman, 2013). Die Evolution verfolgt mit dem Spiel vor allem zwei Ziele: In relativer Sicherheit zu entdecken wie die Welt funktioniert bevor wir etwas in echt tun und uns in dem äußerst komplexen soziale Geflecht der menschlichen Gesellschaft zurechtzufinden. (Brown & Vaughan, 2010).

Spielen heißt in Sicherheit üben

Zwei einfache Beispiele zeigen, was damit gemeint ist. Bevor wir unsere Kinder allein auf dem Fahrrad in den Verkehr einer Großstadt lassen, üben wir erstmal das sichere Fahren auf dem Hof am besten mit Stützrädern. Wir begleiten sie lange auf dem Weg zur Schule bis wir sie allein erstmal durch die nähere Umgebung stromern lassen. Und als Kinder fangen wir extrem früh an uns durch Spielen in andere Hinein zu versetzen. Ein ganzes System von Neuronen, den sogenannten Spiegelneuronen sorgt dafür, dass wir bis zu einem bestimmten Alter alles und jeden nachahmen (Bauer, 2007). Und wer hat nicht Mutter-Vater-Kind gespielt, um zu testen wie das ist, wenn man auch mal „schimpfen“ darf? Genauso spielen wir als Erwachsene weiter. Bevor wir eine wichtige Präsentation vor Kunden halten, spielen wir sie allein oder mit Kollegen durch. Vor einer kritischen Datenmigration spielen die Eventualitäten im Team durch. Um uns auf schwierige Gespräche vorzubereiten nutzen wir das Rollenspiel. Spielen und Arbeiten fühlt sich dann gar nicht mehr so fremd an.

Spielen bei der Arbeit gehört zum Beruf dazu

Also, alles Grund genug, den Verdächtigungen ein Ende zu setzen. Spielen ist nicht das Gegenteil von Arbeiten. Vielmehr sind Spielen und Arbeiten teil von einer Sache, die für die meisten von uns sehr wichtig ist – unserem Beruf. Spielen bei der Arbeit gehört schlicht dazu. Und der wird uns erst erfüllen, wenn beide in einer guten Balance zueinander stehen. Denn um uns wohl zu fühlen und langfristig produktiv und kreativ zu sein, brauchen wir beides: Spielen für das Gefühl im Moment zu sein, Neues zu entdecken, uns zu entwickeln. Und Arbeiten für Gefühle wie finanzielle Sicherheit, Kompetenz oder auch Zielorientierung (Brown & Vaughan, 2010).

Selbstvergessenheit ist wichtig für die Kreativität

„Spielen“, sagen die Neurowissenschaflter deswegen, ist der Mechanismus mit dem sich das Gehirn unser Leben lang selbst baut und selbst weiterentwickelt. Wer aufhört zu spielen, hört auf sich weiterzuentwickeln. Und genau darin liegt die Gefahr. Wir brauchen Spielen wie Schlafen weil unser Gehirn diese eher selbstvergessenen Phasen nutzt, um neue neuronale Verknüpfungen herzustellen und damit die Basis für neue Problemlösungen zu schaffen oder Neugelerntes langfristig zu speichern.  Jeder hat wohl schon mal eine Nacht über ein Problem geschlafen und ist mit der Lösung aufgewacht. Der gleiche Effekt lässt sich auch durch Spielen erzielen, z.B. haben Studien gezeigt, dass wir nach einer kurzen Spielphase schon zu signifikant besseren faktenbasierten Entscheidungen kommen. Es ist sogar so, das Spielmangel zu ähnlichen Symptomen wie Schlafmangel führt.

Spielen macht schlau

„Der große Nutzen vom Spielen ist, dass wir dadurch schlauer werden, mehr über die Welt lernen als jemals in unseren Genen stehen kann und immer anpassungsfähiger werden. , sagt Stuart Brown, ein bekannter amerikanischer Spielforscher. Zu erkennen, ob jemand spielt, ist leicht. Ich nenne es das „Rote-Bäckchen“-Phänomen: Das Zeitgefühl und uns selbst im Spiel verlieren. Nicht aufhören wollen und, wenn uns doch etwas dazu zwingt, aufs Weitermachen freuen. Ein Gefühl von Flow stellt sich ein (Czikszentmihalyi, 1991). Wir spielen freiwillig und können gut improvisieren (Brown und Vaughan, 2010).

Was uns zum Spielen bringt

Ob zur Simulation von Situationen auf die wir uns vorbereiten müssen (Papert und Harel, 1991), um Fähigkeiten zur Meisterschaft zu bringen, aus Geselligkeit (Zicherman und Cunningham, 2010) bzw. dem Wunsch nach Zugehörigkeit oder einfach zur Erholung (Jaffe, 2010) – wir haben ungezählte Spiele erfunden, um unserem Spielbedürfnis gerecht zu werden:

  •  Simulationen helfen uns komplexe Situationen mit vielen sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren in den Griff zu bekommen. Wir bauen ein Modell der Situation und können in Sicherheit durchspielen, was wir im echten Leben erwarten, um dann im Ernstfall entsprechend zu handeln.
  •  Spielen um Fähigkeiten zur Meisterschaft zu bringen ist eher individuell. Wir üben eine Fähigkeit – im Sport, im Beruf, in einem Hobby oder einem bestimmten Spiel, wie zum Beispiel Schach, weil Freude daran haben, etwas einfach nur zu tun und dabei immer besser werden.
  • Aus Geselligkeit spielen wir, weil wir gern mit anderen zusammen sind und weil wir im Spiel unsere sozialen Beziehungen immer wieder neu austesten und verhandeln können. Es ermöglicht uns, einander immer wieder neu zu begegnen und auch eingespielte Rollenmuster für die Zeit des Spiels zu verlassen.
  •  Im Spiel zu Erholung wollen wir gar nichts. Wir wollen ein Spiel, bei dem unsere Aufmerksamkeit möglichst unfokussiert sein kann. Das kann sogar ein Spaziergang nur sein, ein leichter Film zur Unterhaltung, eine Partie Mau-Mau. Wir tanken auf, indem unsere Gedanken ungerichtet schweifen und die Zeit einfach so vergeht.

Mehr Spielen bei der Arbeit! ist ein Aufruf, die Dinge anders zu machen. Komplexe Fragen auch mal spielerisch anzugehen etwa durch Simulation mit Klemmbausteinen wie Lego oder sich regelmäßig einfach nur Spielpausen zu gönnen, um auf neue Ideen zu kommen. Das klingt verdächtig? Ich glaube, das schaffen wir spielend.

Quellen & Inspiration

  • Bauer, J. (2006) Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen, Heyne
  • Brown, S. und Vaughan C. (2010) Play: How it Shapes the Brain, Opens the Imagination, and Invigorates the Soul, Avery Trade
  • Czikszentmihalyi, M. (1991) Flow – The Psychology of Optimal Experience, HarperPerennial, New York
  • Creswell, J.D. (2012) Hold that thought: Putting your unconscious mind to work for you. The NeuroLeadership Annual Summit, New York, NY, October 17, 2012
  • Jaffe, E. (2010) This Side of Paradise, Observer Vol.23, No.5 May/June, Association for Psychlogical Science
  • Lieberman, M. (2012) Education and the Brain, Trends in Neuroscience and Education, Vol. 1/Issue 1, Elsevier
  • McGonigal, J. (2012) Besser als die Wirklichkeit!: Warum wir von Computerspielen profitieren und wie sie die Welt verändern, Heyne Verlag
  • Papert, S. und Harel, I. (1991) Situating Constructionism, MIT Media Lab
  • Plettenberg, V. et. al. (ca. 2007) Spiele in der Alltagssprache, Metaphernsammlung im Internet, spielbox.de
  • Zicherman, G. und Cunnigham, C. (2011) Gamification by Design: Implementing Game Mechanics in Web and Mobile Apps, O‘Reilly Media

Dieser Artikel ist zuerst auf learnical.com erschienen (22. Juni 2013) – Version 1.2.