Selbstorganisation – einfach so?

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Cordula Büchse beschreibt, wie Selbstorganisation entstehen kann.

Ist  die Fähigkeit zur Selbstorganisation in Teams eine Illusion? Kürzlich erlebte ich bei einem Kunden eine hitzige Debatte über das Thema Zeiterfassung. Die Frage war: Sollen wir die bisher offene Gleitzeitordnung stärker regulieren? Dann könnte die Führungskraft u.a. die Anwesenheit von Mitarbeiter:innenn zu ungeliebten Servicezeiten (z.B. Freitag ab 17:00 Uhr) anordnen. Die Gegenposition vertrat die Auffassung, dass eher weniger Führung und mehr Selbstorganisation und Verantwortung Teams dazu ermuntern könne, Kundenwünsche auch nach 17:00 Uhr noch entgegen zu nehmen. Sie plädierte deswegen für Vertrauensarbeitszeit. Welchen Weg einschlagen?

Selbstorganisation als neue Herausforderung für Teams

In vielen Organisationen entsteht in den letzten Jahren die Einsicht in die Notwendigkeit, die inneren Strukturen und Prozesse zu verändern, um den aktuellen Entwicklungen auf Märkten und von Technologien auch zukünftig gewachsen zu sein. Herkömmliche Organisationsformen nach dem Wasserfallprinzip (von oben nach unten) scheinen für die notwendige Anpassungsleistungen von Unternehmen an die sich verändernden Umwelten zu langsam zu sein.

Die Annahme ist, dass gerade das Wissen und die Kreativität in den Köpfen der Mitarbeiter:innen anders und besser genutzt werden kann, wenn sie einen größeren Gestaltungsspielraum haben. Sich also im Team austauschen und gegenseitig inspirieren. Dazu gehört auch, dass sie gemeinsam für das Erreichen einer geteilten Mission verantwortlich sind. Und dass diese Verantwortung nicht durch eine Person, die Führungskraft, kanalisiert wird.

Selbstorganisation als neues Leitthema

Kurzum: Selbstorganisation ist ein neues Leitthema und das beinhaltet auch ein neues Verständnis von Leadership. Führung wird nicht mehr an eine klar definierte Rolle, sondern als ein Verhalten begriffen. (vgl. Kaltenecker & Hundermark 2014)

Was bedeutet dies für die Mitarbeiter:innen in den Teams? Sie erfahren, dass sie sich nun selbst organisieren sollen oder dürfen, dass Führung nicht mehr zwingend an einzelne Personen gebunden ist, sondern dass sie als Team zukünftig für das verantwortlich sind, was bisher ihre Führungskraft vertreten hat, wie z. B.:

  • die Ergebnisse ihrer Arbeit
  • die Form ihrer Zusammenarbeit
  • die Gestaltung der Prozesse
  • die Qualitätssicherung der Prozesse und Produkte
  • die Entscheidung über Qualifizierung

Selbstorganisation – einfach so?

Dieser Prozess hin zum einem neuen Führungsverständnis braucht Zeit. Denn wir haben ja nicht erst in unserem bisherigen Berufsleben gelernt, Verantwortung an eine Führungskraft zu delegieren, sondern trainieren dieses Verhalten seit unserer Kindheit.

In vielen Zusammenhängen, wie Familie, Schule, Ausbildung, Studium, Beruf, haben die meisten Menschen verinnerlicht, sich nach Regeln und Bedingungen zu verhalten, die von Autoritäten veranlasst werden.

Beispiele gibt es dafür genug: Lehrpläne, Zeiteinheiten, Schulnoten, Versetzung, Tests und Klassenarbeiten, Beurteilung individueller statt kollektiver Leistung… alles Mittel, die das Leben und Arbeiten zum Beispiel von Schülerinnen und Schüler von Außen reglementieren. Ähnliche fremdbestimmende Mechanismen prägen uns in der Berufsausbildung, im Studium, im Sportverein und im Berufsleben: Überall werden wir auf eine bestimmte Weise sozialisiert und dabei lernen wir, uns nach Vorgaben oder Anweisungen zu richten und diese (best möglich) umzusetzen.

Selbstorganisation im Team entsteht also nicht einfach so – per Anordnung durch eine Autorität. Sie ist vielmehr ein gemeinsamer Kompetenzerwerb, der uns dabei unterstützt, die in Familie, Schule, Ausbildung und Beruf gelernten Muster wieder zu verlernen.

Selbstorganisation als experimenteller Lernprozess

Im konkreten Fall könnte ein Experiment im agilen Sinne weiterhelfen. Team und Führungskraft vereinbaren gemeinsam fünf Verhaltensweisen, an denen sie gemeinsam gute Servicebereitschaft für ihre Kunden beobachten können. Diese Verhaltensweisen probieren alle in zwei mehrwöchigen Tests aus und finden heraus, welches der beiden Systeme zu welchen Ergebnissen führt. Der Weg, der besser funktioniert hat, wird weiter verfolgt. Und weiter überprüft.

Nicht auszuschließen, dass das selbstorganisierte Team zu besseren Ergebnissen kommt – in dem es sich Regeln gibt.

Quellen & Inspiration

Cordula Büchse war von 2014 – 2015 freiberuflich als Beraterin für smidig (damals Learnical) tätig.

Dieser Artikel ist zuerst auf www.learnical.com erschienen (20. November 2014) – Version 1.2.