Mental Load erkennen und gemeinsam tragen

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Neulich habe ich eine sprechende „Mental Load“-Situation im Park beobachtet: Ein Mann hatte mit seinem Fahrrad auf seine Frau gewartet. Als sie in Sichtweite gekommen ist, hat er sich abgestoßen und ist zügig weitergefahren. Er hatte ein wendiges sportliches Rad unter sich – ohne Gepäck oder weitere Last.

Seine Frau war einige hundert Meter hinter ihm und gerade dabei ihr Fahrrad ein paar Stufen hochzuwuchten. Es war ein schweres Damenrad, mit einem Korb hinten drauf, gefüllt mit Dingen, die man wohl für ein Picknick braucht. Sie musste sich sichtlich anstrengen, um mit ihrem Mann mitzuhalten.

Zuvor schon eine ähnliche Situation: Ein Vater, zügig vorweg, gefolgt von zwei Jungs auf ihren Mountainbikes. Dann eine ganze Zeit später eine Frau, Damenrad, Korb, alles Gepäck bei Muttern.

Dieses Phänomen ist auch unter dem Stichwort Mental Load bekannt. Hierunter versteht man, all die kleinen Aufgaben und Dinge, die getan werden müssen, die oft aber keine Sichtbarkeit oder Wertschätzung von anderen erhalten. Wie hier im Park die Mütter, die alles nötige für ein wunderbares Familienpicknick dabei haben und sich damit alleine abstrampeln, damit es für alle anderen ein schöner Ausflug wird.

Agile Teams im Park

Ich dachte, guck mal, so ist das auch manchmal in den Teams, mit denen ich arbeite. Manche sprinten voran ohne links und rechts zu gucken. Schnappen sich die vergleichsweise leichtgewichtigen Aufgaben und bemängeln in jeder Retro, dass es ihnen viel zu langsam geht. Und hinterher kommen die Gründlichen, die Testerinnen, die, die den Legacy-Code beseitigen wollen oder den stehengebliebenen Job erstmal wortlos aufräumen, bevor es weitergehen kann. Die das ganze Team-Gepäck auf ihrem Entwicklungsgepäckträger schleppen und dafür sorgen, dass es am Ende allen gut geht.

Das schwächste Glied in der Kette – nein, danke!

Ich glaube ehrlich, dass das so nicht funktioniert. Und dass auch der dann häufig eingesetzte Spruch „Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied“ fehl am Platz ist. Gut gemeint zwar, aber fehl am Platz, weil sachlich falsch.

Wenn jemand die meiste Last trägt, sich um die zähen Aufgaben kümmert, den anderen den „Kram“ aus dem Weg hält, dann ist er oder sie nicht der oder die Schwächste. Dann hat er oder sie eine andere, sehr anspruchsvolle Aufgabe gewählt und dient damit den anderen, die dadurch schneller, wendiger, vergnügter werden können.

Diese Person ist vermutlich die Stärkste von allen, weil sie es erstens tut und zweitens aushält. Und zwar nicht nur Mental Load, sondern Load im Allgemeinen. Und sie wird es auf Dauer nicht mitmachen. Es wird irgendwann zu viel werden, zu schwer, zu lange, der Frust steigt, die Wertschätzung wird es kaum auffangen, wenn sie denn überhaupt vorhanden ist.

Was also tun?

  • Gemeinsam starten: Am Anfang eines Ausflugs, eine Projekts oder eines Sprints ist es sinnvoll, einmal kurz die Köpfe zusammen zu stecken. Es geht darum, die unterschiedlichen Interessen abzugleichen und gute Kompromisse zu finden. Wer kann (und will) was einbringen und wie lassen sich alle Bedürfnisse und Fähigkeiten unter einen Hut bringen?
  • Die Last verteilen: Bevor es losgeht und auch unterwegs ist es nur fair, die Last zu verteilen, sich beim Tragen abzuwechseln oder Lösungen zu entwickeln, die die Last verringern. Dazu gilt es, erstmal festzustellen, worin die Last eigentlich besteht, wie einzelne das „Gewicht“ einschätzen und was eine gute gemeinsame Herangehensweise sein kann.
  • Auf einander achten: Und nicht zu letzt ist es ratsam, die anfangs getroffenen Entscheidungen regelmäßig zu überprüfen. Funktioniert die Verteilung? Leiden einzelne unter dem Gewicht? Könnten andere mehr tragen, tun es aber aus welchem Grund auch immer gerade nicht? Und sagen die, die schleppen, dass sie eigentlich Hilfe brauchen?

Zurück im Park

Der Mann hätte wohl auch mit einem weniger wendigen Rad mit Gepäckträger Spaß gehabt und vermutlich immer noch gut Fahrt aufnehmen mit der Hälfte des Picknicks auf seinem Rad. Und selbst mit dem wendigen Rad, wäre es ein feiner Zug gewesen nicht hundert Meter hinter der Treppe zu warten, sondern seiner Partnerin zu helfen, das Rad samt Gepäck hinauf zu wuchten. Und gemeinsam eine kleine Pause zu machen und mal kurz zu schauen, wie das hier eigentlich beiden Freude machen könnte.