Zum Valentinstag möchte ich über ein vielleicht ungewöhnliches Thema schreiben: Die Liebe im Arbeitsleben. Und dazu etwas ausholen: Unser Gehirn hat eine bemerkenswerte Eigenschaft. Wenn es unter Stress gerät, fährt es alles runter, was nicht gebraucht wird. Ursprünglich war dieser Mechanismus zum Überleben gedacht: Bei großer Bedrohung, werden Stresshormone ausgeschüttet, die blitzschnell eine von drei Reaktionen auslösen: Fliehen, Angreifen oder Umkippen. Auch bei geringerem Stress passiert das in gemäßigter Form. Die höheren kognitiven Funktionen, wie Selbstregulation oder Vernunft, werden heruntergefahren, um den Körper für die Überlebensreaktion bereit zu halten. Zur Not sogar auf Dauer.
Säbelzahntiger oder Abgabetermin? Egal!
Nun ist unser Gehirn zum einen ausgesprochen effizient und zu anderen uralt. Will sagen, es nutzt diesen evolutionär wichtigen Mechanismus nicht nur, wenn Säbelzahntiger hinter Büschen hervorspringen, sondern auch, wenn die Meetings zu eng getaktet sind, der Abgabetermin im Nacken hockt, die Führungskraft gerade mal wieder merkwürdige Anforderungen stellt oder ein unsinniges Vorgehen zum x-ten Male wiederholt werden muss, na, weil das eben so ist hier. Seit zwanzig Jahren. Schon immer eben.
Nennen wir es beim Namen: Liebe
Ganz anders, wenn Hinwendung ins Spiel kommt. Oder Zuneigung. Nennen wir es doch beim Namen: Liebe. Fühlt sich unser Gehirn sicher, schaltet es zutraulich alle seine Gehirnareale zusammen und lässt sich auf das ein, was da kommen wird.
Nur komisch, das Liebe im Arbeitsleben so selten einen Platz findet. Da, wo es doch drauf ankommt, jeden Tag. Dass wir gut zusammenarbeiten, sinnvolle Ideen entwickeln und ja, die wirklich wichtige Frage dieses Jahrtausends lösen: Wie wollen wir in Zukunft wirtschaften – ohne uns Menschen und unseren Planeten weiter zu zerstören?
Work is conditional love
Work is conditional love – Arbeit ist bedingte Liebe, habe ich mal in einem Buch über Unternehmer:innen gelesen, die aus ihrem Unternehmen etwas besonderes gemacht hatten: Small Giants, also Unternehmen, die sich bewusst gegen Wachstum entschieden hatten, um ihnen wichtige andere Werte verfolgen zu können.
Wenn ich mich richtig erinnere, war es Jay Goltz, der Gründer einer kleinen Unternehmensgruppe mit Einrichtungsgeschäften und Galerien, der das gesagt hat. Und er meinte damit, in seinen Geschäften stehe immer ein liebevolles Miteinander im Vordergrund – solange der beiderseitige Arbeitsvertrag erfüllt werde.
Liebe als erhaltende Kraft
Mir ist das damals schräg vorgekommen. Bedingte Liebe, was soll das sein? Liebe ist doch an sich bedingungslos. Seither habe ich darüber oft nachgedacht. Weil Liebe für mich eine, vielleicht die erhaltende Kraft in meinem Leben ist. So hat mich ein Juniorkollege vor vielen Jahren einmal gefragt, was die wichtigste Eigenschaft einer Unternehmensberater:in sei. Und ich habe geantwortet – aus dem Bauch, ohne zu Zögern: Du musst die Menschen lieben.
Ich habe diese Episode mit der Liebe im Arbeitsleben bei anderer Gelegenheit auf einer Konferenz im Kreis von Kolleg:innen aus verschiedenen Beratungsunternehmen geteilt und im wesentlichen Verblüffung geerntet, weil die Stimmung eher von Zynismus geprägt war und von Verzweiflung, ob der Trägheit mancher Kundschaft. Und ja, das bin ich als Beraterin auch manchmal, verzweifelt, genervt, ratlos, ob der Dinge, die Menschen sich in großen Organisationen gegenseitig antun (müssen). Und doch liegt dicht darunter in meinem Beraterinnenherz immer: Liebe. Oder übersetzt: Lass uns schauen, wie wir ins Gespräch kommen. Aufeinander zu gehen. Einer anderen Person Gutes wünschen. Ihr vertrauen. Eine neue Tür öffnen. Einladen, es neu, nochmal oder überhaupt zu versuchen.
Liebe als allgemeine Haltung. Und Liebe als konkrete Verantwortung.
Mit der Zeit habe ich auch eine Haltung zu dem merkwürdigen Satz gefunden – Arbeit ist bedingte Liebe. Aus der Perspektive der Beraterin und der Geschäftsführerin, die ich ja auch bin, heißt Liebe dann nämlich für mich: Ich liebe die Menschen bedingungslos, als generelle Haltung in meinem Leben. Dabei muss ich die einzelne Person noch nicht einmal mögen, aber ich will (und kann) allen immer zugeneigt sein und wohlwollend. Und das ist schon ein weitreichender Anspruch – alle und immer.
Wenn ich jetzt einen Vertrag schließe, sei es für einen kurzen Beratungsauftrag oder ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, dann wird meine Liebe konkret. Dann wird aus Liebe als Haltung, Liebe als Verantwortung. Sie wird zu meiner Verpflichtung als führender oder beratender Person dafür, dass die Dinge im Miteinander einen guten Verlauf nehmen und möglichst kein Schaden entsteht. Weder dir, noch mir, noch all dem was uns umgibt, verbindet und inspiriert.
Die Oberste Direktive ist auch Liebe im Arbeitsleben, oder?
In der agilen Welt wird dieser liebevollen Verantwortung oft durch die Oberste Direktive Ausdruck gegeben
Unabhängig davon was wir entdecken werden, verstehen und glauben wir aufrichtig, dass in der gegebenen Situation, mit dem verfügbaren Wissen und Ressourcen und unseren individuellen Fähigkeiten, jede:r das Beste getan hat.
Viele kennen diesen Satz sicher aus ihren Retrospektiven. Was viele nicht wissen: Norman Kerth, der diesen Satz in seinem Buch Project Retrospectives: A Handbook for Team Reviews, geschrieben hat, leidet nach einem Autounfall an einer Hirnschädigung. Er kann schon seit vielen Jahren nicht mehr arbeiten. Kolleg:innen aus aller Welt haben über die Jahre für ihn gespendet und soviel Geld gesammelt, dass er ein – wenn auch sparsames – Auskommen für sein Leben hat. Er sagt dazu selbst: „I have found being the recipient of this group’s (i.e. people whom I never had a chance to meet) generosity to be a most endearing, touching, remarkable, rewarding, and unusual way to end my career.“
Und das ist, was Liebe ist. Als allgemeine Haltung und als konkrete Verantwortung.