Kreativität – wird man von der Muse geküsst?

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Kerstin Lausen schreibt über Kreativität.

Nein, ich bin nicht kreativ, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Ich kann nicht malen, bildhauern oder beeindruckenden Fotos machen, erst recht keine coolen Filme drehen oder bewegende Poetries schreiben. Ich kann nicht mal Blumen gekonnt in Vasen arrangieren.

Aber ich bin kreativ, was die Konzeption von Workshop-Leitfäden angeht. Ich kann überall Inspirationen finden, wenn ich im Modus des Rumschnüffelns bin. Ich kann Webseiten selber basteln obwohl ich nicht programmieren oder designen kann. Und ich kann clever klauen, sprich passende Analogien finden, die meinen Kunden helfen, auf innovative Ideen zu kommen. Ist das kreativ? Ich finde schon!

Alle Menschen bekommen kreatives Potenzial mit in die Wiege gelegt.

Kreativität entsteht dann, wenn gewohnte Zusammenhänge im Gehirn durcheinander gewirbelt werden. Dinge miteinander verknüpft werden, die vorher nicht verbunden waren. Wir kommen mit dieser grundsätzlichen Begabung für Schöpferisches auf die Welt. Aber wir trainieren sie selten, und schon gar nicht bis zur Perfektion. Weder in der Schule noch in Organisationen.

Was sind also Voraussetzungen für schöpferische Kraft in Organisationen?

Drei Dinge sind wichtig: die kreative Person, das Umfeld und ein Prozess.

1. Die kreative Person

Individuelle Grundlagen für kreative Ergebnisse sind, vielleicht etwas überraschend, neben Begabung, umfangreiches Wissen und spezifisches Können. Wir müssen uns in wichtigen Fachthemen richtig gut auskennen. Wahre Spezialisten sein. Was ist noch wichtig? Der kreative Mensch ist intrinsisch motiviert, hat echtes Interesse an der Aufgabe. Er ist neugierig und reizoffen gegenüber vielfältigen Impulsen von draußen.

Aber auch widerstandsfähig gegenüber Misserfolgen und sehr diszipliniert. Selbst besonders kreative Talente  haben bis zum Umfallen trainiert, um sich etwas aufzubauen. Der Schaffensprozess ist immer harte Arbeit mit vielen unbrauchbaren Ideen und nie göttliche Eingebung.

Unsere größten Kreativitäts-Feinde tagtäglich sind Routinedenken und Routinehandeln – wir befinden uns nämlich gern im Autopiloten, weil es so angenehm energiesparend ist. Also raus aus der Routine! Der Humus der genialen Idee ist ein reicher Alltag.

2. Das Umfeld

Kreativität in Unternehmen profitiert von einem unterstützenden Nährboden. Ganz wichtig sind sinnvolle und herausfordernde Aufgabenstellungen. Sowie die grundsätzliche Erlaubnis, gegen Regeln verstoßen zu dürfen und die Offenheit, gedankliche Schranken der eigenen Organisation zu erkennen und zu benennen.

Möglichst keine zu frühe Kritik, so werden kreative Gedanken häufig nachhaltig zerschmettert, denn die Angst sich zu blamieren ist tief in uns verwurzelt.

Es braucht weiterhin Zeit zum ungestörten und intensiven Nachdenken. Wenn Einzelne ständig herausgerissen werden, weil es im laufenden Geschäft ein Problem gibt, fällt Kreativität schwer. Man muss sich einer Sache richtig widmen, um eine herausragende Leistung zu erbringen.

„Erfolg“ ist die Belohnung für Kreativität, motiviert zu noch mehr Kreativität. In Organisationen werden aber am Ende erfolgreicher Kreativprozesse oft die weniger revolutionären Ideenkonzepte ausgewählt. Und das macht nicht eben Mut für die nächste Innovationsoffensive.

Also geben Sie verrückten Ideen eine Chance. Das setzt allerdings ein geschultes Urteilsvermögen von Entscheidungsträgern voraus, denn die gute Idee ist in der Frühphase oft nur schwer zu erkennen.

3. Der kreative Prozess

Kreativität in Organisationen funktioniert in Teilen anders als die Arbeit in der Forschung oder die eines Dichters. Ein Prozess und Techniken helfen Teams, das Denken zu strukturieren. Folgende Schritte sind, oft auch in mehreren Iterationen, unterstützend:

Das konkrete Problem durchdringen:
  • Intensive Beschäftigung mit dem zu lösenden Problem, bis man alle seine Facetten in der Tiefe durchdrungen hat. Möglichst viele Informationen sammeln und daraus im Team Wissen extrahieren. Der „Job“ muss genau verstanden sein!
Intensive Suche nach Inspiration: 
  • Intensives Rumstöbern, oft strukturlose Suche nach Inspirationen.
  • Ausgiebige Recherche, um neues Wissen an Bord zu holen.
  • Vielfältiger Austausch mit Spezialisten, Kunden, Lieferanten…
  • Eine schöpferische Pause machen – laufen, putzen, duschen, auf der Wiese liegen. Oft schießen dann viele kreative Ideensplitter in den Kopf. Unbedingt sofort aufschreiben, denn die brillante Idee ist ein scheues Reh.
Ideenentwicklung
  • Absammeln aller Inspirationen und Ideensplitter im Team und als Sprungbrett für noch mehr Ideen nutzen (to build on- Methode).
  • Zusammenbasteln zu durchdachten Ideenkonzepten.
Ideen-Bewertung – erst jetzt!
  • Kriterien finden, Herausfiltrieren der besten Ideen.

Nun stellt sich noch die Frage, ist die Gruppe oder der Einzelne kreativer? Gruppenkreativität ist in Form von Brainstorming bei Innovations-Workshops weit verbreitet und an bestimmten Stellen auch richtig.

Man hat aber inzwischen herausgefunden, dass Menschen unter dem Druck der Verantwortung, der mit individueller Anstrengung verbunden ist, zu Hochform auflaufen. Bei der professionellen Begleitung von Kreativteams sollte man somit stets zwischen Einzel- und Gruppenarbeit sorgfältig abwägen. Hier hilft Erfahrung und Fingerspitzengefühl.

Kreativität ist wie ein Muskel: man muss üben, üben, üben! Es ist nicht so einfach für Menschen, die in die Tagesarbeit sehr stark eingebunden sind, plötzlich rosa Kaninchen aus dem Hut zu zaubern.

Kerstin Lausen ist Beraterin für Innovation und Kreativität.

Dieser Artikel ist zuerst auf kerstinlausen.com erschienen (22. September 2017) – Version 1.2.